Samstag, 29. Dezember 2012

Diäten - die deutsche Neiddebatte

Der Spitzenkandidat der SPD fordert höhere Einkommen für den Bundeskanzler. Jeder Sparkassendirektor würde mehr verdienen. (Spiegel)

Man könnte meinen, Peer Steinbrück sei von CDU-Wahlkampfstrategen für diese Aussage bezahlt worden. Die SPD-Stammwählerschaft wird es ihm vermutlich nicht danken.

Aber hat er schlussendlich nicht tatsächlich recht?

Man möchte Größen aus der Wirtschaft, Sanierer, die bereits ihre Kompetenz bewiesen haben, in der Politik sehen. Man möchte unsere Abgeordneten, aus denen sich in der Regel die höheren Mandate wie Minister rekrutieren, aber bezahlen wie Hochschullehrer - angestachelt durch die Neiddebatte des Stammtisches. Übrigens ungeachtet der Tatsache, dass die Diäten in Deutschland im europäischen Vergleich im hinteren Mittelfeld liegen. Spitzenreiter bei Politikerbezügen ist Italien.

Für Ökonomen, Manager, hochrangige Juristen usw. stellen die Diäten im Verhältnis zu 60-70h Wochen, in der Regel Zweitwohnsitz in Berlin, Trennung von Familie, Verlust von Privatsphäre und dergleichen mehr eher uninteressante Verdienstmöglichkeiten dar.

In der Folge haben wir Parlamentarier, die entweder tatsächlich aus Idealismus in die Politik gehen - oder aber Politiker, für die MdB- oder MdL-Bezüge eine deutliche Aufwertung des bisherigen Gehalts darstellen. So werden Physikerinnen Bundeskanzlerin, Ärzte erst Gesundheits-, dann Wirtschaftsminister und Biologielehrer Ministerpräsident.

Freitag, 28. Dezember 2012

Die Mär von der wachsenden Armut in Deutschland

So eine Schlagzeile in der ZEIT.

Ein interessanter Artikel, der vor allem die statistische Messmethodik zur Definition der Armut anprangert und suggeriert, dass Armut in Deutschland kein wachsendes Problem sei.

Faktisch gesehen vermutlich richtig, wobei die reale Kaufkraft leider außer Acht gelassen wird. Dem Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation folgend, wonach Gesundheit "ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen" sei, stellt sich für mich die Frage, ob Armut tatsächlich in starre Formeln gepresst werden kann oder sie nicht vielmehr ein subjektives Empfinden des Individuums darstellt.

Sicherlich müssen wir in Deutschland Armut anders definieren als in Entwicklungsländern. Die reine Abwesenheit von Hunger und das Vorhandensein von beheizten vier Wänden, Elektrizität und fließend Wasser macht für mich im gesamtgesellschaftlichen Kontext jedoch einen Menschen nicht automatisch zu "nicht arm" - die Worte wohlhabend oder reich möchte ich in diesem Zusammenhang gar nicht erst verwenden.

Mittwoch, 12. Dezember 2012

Formulierungshilfen für Strategieprozesse


Strategieprozess – das Wort ist in aller Munde. Prof. Dr. W. Orthülse, anerkannter Linguistikwissenschaftler mit Lehrstuhl an der Universität Phrasen/Dreschen, analysierte die Strategieprozesse großer Verbände der vergangenen 40 Jahre und konnte diverse Schlüsselbegriffe ausfindig machen, die in jedweder Art von Strategiepapier elementare und unverzichtbare Bestandteile darstellen.

Das „automatische Schnellformulierungssystem“ stützt sich auf eine Liste von 30 sorgfältig ausgesuchten Elementen.

Adjektiv

Subjekt-Anfang
Subjekt-Ende
0   interkulturelle
0   Führungs-
0   –struktur
1   integrierte
1   Organisations-
1   –kriterien
2   permanente
2   Management-
2   –ebene
3   systematisierte
3   Krisen-
3   –tendenz
4   progressive
4   Durchlässigkeits-
4   –konzeption
5   funktionelle
5   Ehrenamtlichkeits-
5   –phase
6   orientierte
6   Migrations-
6   –problematik
7   synchrone
7   Einsatzformations-
7   –flexibilität
8   qualifizierte
8   Leitungs-
8   –ansprüche
9   konsequente
9   Öffnungs-
9   –orientierung 

Die Handhabung ist einfach. Denken Sie sich eine beliebige dreistellige Zahl und suchen Sie die entsprechenden Wörter in jeder Spalte. Die Ziffern 019 ergeben zum Beispiel „interkulturelle Organisationsorientierung“, die Ziffern 357 „systematisierte Ehrenamtlichkeitsflexibilität“. Ausdrücke, die praktisch jeder Abhandlung, jedem Bericht und jeder Rede eine entschiedene, von Fachwissen geprägte Autorität verleihen und dabei verschleiern, dass seit Jahrzehnten bekannte Problematiken lediglich in neue Begrifflichkeiten gepresst werden und die neu aufgezeigten Lösungswege ebenso altbekannt sind – in der Praxis jedoch nie umgesetzt wurden.

„Die meisten werden nicht im entferntesten wissen, wovon Sie reden“, sagt Prof. Dr. W. Orthülse. „Aber entscheidend ist, dass niemand es wagen wird, es zuzugeben.“